Als die Eisenbahn kam
Quelle: Text zur Sonderausstellung im Ortsmuseum Sust von Christina Kovarik, Zürich & Robert Urscheler, Horgen
Abriss der Entstehung der Bahnlinien am linken Zürichseeufer
Der Schweizer Eisenbahnbau begann im europäischen Vergleich spät. Die erste Eisenbahnlinie war die sogenannte Spanisch-Brötli-Bahn zwischen Zürich und Baden, die am 7. August 1847 eröffnet wurde. Ein Grund für den späten Eisenbahnbau waren die Diskussionen um die Streckenführung der Alpenbahn, die durch kantonale und regionale Rivalitäten behindert wurde. Horgen wünschte sich, dass eine Alpenbahn über das Gebiet der Gemeinde verlaufe und Horgen mit der Stadt Zürich verbinden sollte.
Erste Bemühungen, die Bahn nach Horgen zu bringen, gab es bereits 1852. Laut dem Anzeiger des Bezirkes Horgen war die Idee aber für die Bevölkerung noch zu neu und sie hatte wenig Verständnis, da der Verkehr u.a. bereits über das Dampfschiff abgewickelt wurde, auch fürchtete sie die Kosten. Doch am 14. Mai 1856 tagte eine Versammlung in Horgen, wo eine Gründungsgesellschaft gebildet wurde, die eine Bahnlinie von Zürich nach Richterswil entlang des linken Seeufers und vor allem den Alpenbahnanschluss schaffen wollte. So reichten Caspar Baumann-Hüni (Seidenfabrikant in Horgen), Carl Adolf Huber-Blattmann (Staatsschreiber und Nationalrat von Wädenswil) und Hans Heinrich Schmid-Kölliker (Textilfabrikant und Gemeindepräsident in Thalwil) bei der Zürcher Regierung folgendes Konzessionsgesuch ein: Erstens für eine Linie von Zürich entlang dem linken Seeufer bis an die Kantonsgrenze von Richterswil und zweitens für eine Linie von Zürich bis an die Kantonsgrenze bei Sihlbrugg, die entweder ganz oder teilweise durchs Sihltal verlaufen sollte. Dabei wurde betont, dass die beiden Linien als ein Ganzes aufzufassen seien.
Am 3. Juli 1857 bewilligte der Grosse Rat des Kantons Zürich die Konzession für eine Bahnlinie am linken Seeufer. Für die Strecke Zürich-Zug wurde ebenfalls eine Konzession bewilligt, aber für eine Linienführung durch das Reppischtal und Affoltern. Mit einer Petition an den Grossen Rat, welche im Februar 1859 im Umlauf war, wollten die linksufrigen Gemeinden den Bau einer Bahnlinie durch das Reppischtal verhindern und doch noch die Linienführung über Thalwil erwirken. Unter anderem wurde mit der grösseren Attraktivität der Seegegend für Touristen argumentiert. Doch der Grosse Rat gab am 6. Januar 1862 dem Bau der Linie durch das Reppischtal den Vorzug. Und diese Linie wurde dann bereits 1864 von der Nordostbahn (NOB) in Betrieb genommen. Damit war vorerst auch der Bau einer Bahnlinie entlang des linken Zürichseeufers auf Eis gelegt. Laut dem Anzeiger des Bezirkes Horgen fehlte es an allgemeiner Teilnahme der Bevölkerung und es gab viele Stimmen gegen eine Beteiligung der Gemeinde.
Erst 1871 bildete sich ein neues Komitee (nach einer Versammlung 1870 in Zürich), dem neben Carl Adolf Huber-Blattmann und Hans Heinrich Schmid-Kölliker neu auch Herr Staub (aus Richterswil) und Heinrich Studer-Heer (Fabrikant aus Bendlikon) angehörten. Es wurden am 19. März 1871 Abgeordnete der Stadt Zürich, des Landes Glarus und der Bezirke March und Höfe nach Richterswil eingeladen, um über die Wiederaufnahme der Bestrebungen für eine linksufrige Seebahn zu diskutieren. Es wurde beschlossen, finanzielle und technische Studien (bei Herr Ingenieur Tobler) für eine Bahnlinie Zürich-Weesen mit einer Abzweigung zur Gotthardbahn in Auftrag zu geben.
Mit Hilfe des neuen Interesses von Glarus und Ausserschwyz wurde erreicht, dass der Kantonsrat am 4. Juli 1871 die Konzession für eine Bahnlinie von Zürich nach Richterswil und auch für eine Abzweigung nach Sihlbrugg und damit die gewünschte Verbindung zur Gotthardbahn bewilligte.
Am 30. April 1871 wurde der Bau der Firma Napier&Kuchen übertragen. Diese Firma war bereits für den Bau der Bahn von Wädenswil nach Einsiedeln verpflichtet worden. Doch sie konnten das nötige Kapital nicht beschaffen und deswegen wurde am 4. Juli 1872 mit der NOB der Vertrag zum Bau der Linie abgeschlossen. Im Vertrag verpflichtete sich die NOB zum Bau und Betrieb einer Bahn von Zürich entlang dem linken Seeufer nach Weesen sowie zu einer Verbindung zur Gotthardbahn und zur Linie Zürich-Zug-Luzern über einen Anschluss Thalwil-Sihlbrugg-Zug. Der Vertrag sah vor, dass sich die Gemeinden mit sieben Millionen Franken zu beteiligen hatten. Auf die Gemeinde Horgen entfiel ein Betrag von 350'000 Franken (280'000 Franken für die Linksufrige Zürichseebahn und 70'000 Franken für die Linie Thalwil-Zug). Zusätzlich sammelte eine lokale Interessensgruppe von gutsituierten Gemeindebürgern bereits 1863 eine Summe von ca. 440'000 Franken an die Erstellungskosten der Bahn. Die Gemeinden knüpften aber Bedingungen an diese Subventionen: So stellte Horgen die Bedingung, dass die Station in der Nähe des Sees erstellt werden sollte.
Der Ingenieur Olivier Zschokke aus Aarau arbeitete im Auftrag der Gemeinde drei Projekte mit drei möglichen Standortvarianten aus: Erstens eine Station hinter der Kirche, zweitens eine Station beim Institut Stapfer oder drittens eine Station bei der Schifflände. Die erste Lösung wäre für den Lokalverkehr ungünstig gewesen und die zweite Lösung hätte viele Enteignungen nötig gemacht. So empfahl Olivier Zschokke die dritte Lösung. Dieser Standort nahe am See hatte aber das Problem, dass damit eine Abzweigung ins Sihltal wegen einer Steigung von etwa hundert Metern unmöglich wurde. Zschokke machte deswegen den Vorschlag, eine Abzweigung in Thalwil zu bauen, die Linie dann aber nicht direkt in einen Tunnel ins Sihltal zu führen, sondern oberhalb von Horgen verlaufen zu lassen.
Drei alternative Linien-Vorschläge 1871 Ing. Oliver Zschokke, Aarau.
Man entschied sich schliesslich für einen Standort am See nahe der Sust. Da die Bahnlinie auf grossen Strecken direkt am See entlang führte oder sogar in den See hinein gebaut wurde, um kostspielige Gebäude und Terrains zu schützen, mussten umfangreiche Uferbauten und Aufschüttungen vorgenommen werden.
Die Sust, das Haus zum Schiff und die Gerwe. Das Haus zum Schiff wurde abgebrochen für die Bahnlinie 1872.
Die Vorbereitungen für die Strecke Thalwil-Zug wurden 1890 durch die NOB wieder aufgenommen. Horgen erneuerte sofort seinen Anspruch auf eine zweite Station und legte erfolgreich dar, dass ein Tunnel vom Gebiet der Gemeinde nach Sihlbrugg um 1050 Meter kürzer sei, als ein Tunnel zwischen Oberrieden und Forsthaus Sihlwald. Die Linie wurde 1897 eröffnet und Horgen hatte nun drei Stationen (Horgen Oberdorf, Sihlbrugg und jene am See).
Die Kapitalbeschaffung der Nordostbahngesellschaft
Die Erstellung der Infrastruktur eines Eisenbahnnetzes ist eine äusserst kapitalintensive Aufgabe, wobei die Besiedlung der Landschaft einer der grössten Einflussfaktoren dieser Kosten ist. Je urbaner eine Landschaft war, umso komplexer und teurer war der Bau der Infrastruktur schon zur Gründungszeit. Die Ufer des Zürichsees waren bereits stark besiedelt und zahlreiche Bäche und Flüsse benötigten zusätzliche Kunstbauten. Ebenso war der Kauf von bereits bebauten Grundstücken durch langwierige Expropriationsverfahren sehr teuer.
In dieser Phase des schweizerischen Eisenbahnbaus wurden zur Finanzierung private Investoren gegenüber öffentlichen Geldgebern bevorzugt. Der junge Bundesstaat konnte sich als öffentlicher Betreiber gegenüber den Unternehmern der Privatbahnen noch nicht durchsetzen. Um den hohen Kapitalbedarf zu befriedigen, wurden in dieser Zeit auch die heutigen Grossbanken (wie die Schweizerische Kreditanstalt und die Schweizerische Bankgesellschaft) gegründet. Dabei waren einige Unternehmer von Privatbahnen auch Gründer der neuen Banken (z.B. Alfred Escher).
Um eine neue Bahnlinie zu bauen, waren teilweise langwierige und grosse Diskussionen zwischen den Einwohnern einer Region notwendig. Es mischten sich die verschiedenen Interessen von Unternehmern, Politikern, Wirtsleuten, Handwerks- und Gewerbetreibenden, einfachen Bauersleuten und Arbeitern. Die Politiker, Unternehmer und Wirtsleute wollten das Wachstum von Industrie und Transport fördern und standen deshalb der Eisenbahn positiv gegenüber. Die Gewerbler (Schiffsleute, Kutscher und Säumer), die Arbeiter und die ärmeren Einwohner fürchteten den Rückgang ihres Geschäftes oder der Arbeit und waren der Eisenbahn gegenüber kritisch eingestellt. Durch diese beiden Lager entstanden gegensätzliche Vorstellungen und Erwartungen an die Bahngesellschaften. Es gab verschiedene harte Auseinandersetzungen und Konflikte zwischen Bahnbefürwortern und Bahngegnern. Um eine neue Bahnlinie bauen zu können, ersuchten Bahngesellschaften die Behörden (die Kantone und ab 1872 die Schweizerische Eidgenossenschaft) um Konzessionen. In diesem Prozess hatten regionale Initiativkomitees (Politiker, Unternehmer der rasch wachsenden Industriebetriebe und wohlhabende Bürger) einen substanziellen Einfluss auf Priorität und Linienwahl. Diese einflussreichen Kreise unterstützten die Privatbahngesellschaften auch bei der Kapitalbeschaffung für eine neue Strecke. Zum Bau der Linksufrigen Zürichseebahn hat die Nordostbahngesellschaft (NOB) nach Interessenskundgebungen von lokalen Bürgerschaften und politischen Institutionen Schätzungen für die technische Ausführung der Strecke, der Bauwerke und des notwendigen Rollmaterials erstellt. Nach Erteilung der behördlichen Konzession musste das Kapital beschafft werden. Es wurden die lokalen, finanzstarken Einwohner, kommunale und kantonale Behörden wie auch internationale Institutionen um finanzielle Unterstützung angegangen. So wurden beim lokalen Komitee für die Eisenbahn in Horgen in den Jahren des Eisenbahnbaus 1874-75 ca. 430'000 Fr. von mehr als 80 vermögenden Bürgern gesammelt. Alle an der Bahnlinie anliegenden Gemeinden mussten der NOB Finanzmittel bereitstellen, sonst wurde keine Station oder kein Bahnhof gebaut. So waren bis zur Einweihung der Linksufrigen Zürichseebahn keine Stationen in Bäch und Freienbach errichtet worden. Die Regierung des Kantons Zürich bewilligte für die Baukosten einen Betrag von 1'400'000 Fr. oder 49'645 Fr. pro Kilometer auf zürcherischem Grund. Dieser Beitrag an die bis Ende 1875 aufgelaufenen Baukosten von 19'095'933.59 Fr. wurde durch die NOB mit Obligationsscheinen zum Durchschnittszinsfuss von 3¼ % auf die Dauer von 10 Jahren abgegolten.
N.O.B. Entwicklung 1853-1899 – Kapital und Betriebsnetz.
Die Baukosten umfassten den Landerwerb, die Schienen, Stationen, die Zuführwege und -strassen sowie das Rollmaterial, bestehend aus Dampflokomotiven und Personen- sowie Güterwagen.
Der Wettbewerb unter den vielen unterschiedlich erfolgreichen Eisenbahngesellschaften beeinflusste die finanzielle Basis stark. Jede Region wollte in den 1870er-Jahren den Aufbruch in die Moderne und forderte Anschluss an die neue Technik und das entstehende Eisenbahnnetz. Dadurch wurden die meisten Eisenbahngesellschaften in einen Konflikt zwischen Ausbauprojekten, der Netzgrösse und einer stabilen Finanzierung gedrängt. So erhöhte sich die Finanzierung der NOB in nur 10 Jahren von 72.8 auf 187.2 Millionen Franken. Zusätzlich wurden in der Aufbruchseuphorie die Verluste zu wenig seriös betrachtet. In den Jahren 1864 bis 1876 führten Betriebs- und Zinsverluste kumulativ zu Totalverlusten von über 3.2 Millionen Franken.
Viele der Bauprojekte fielen wesentlich teurer aus als ursprünglich veranschlagt. Der Bau der Linie der Linksufrigen Zürichseebahn wurde ursprünglich mit Gesamtkosten von 14 Millionen Franken geplant und mit einem Restvoranschlag von 21.8 Millionen Franken per Ende 1876 geschätzt. Die effektive Schlussabrechnung, inklusive der Kosten für die Erneuerung der Linienführung von Horgen, ist nicht bekannt. Dazu kam, dass für langfristige Projekte in den 1870er-Jahren zu viel Fremdkapital mit zu kurzen Laufzeiten aufgenommen wurde.
Die Finanzschwierigkeiten der NOB führten Ende der 1870er-Jahre zu einer der grössten Firmenpleiten der Schweizer Geschichte. Der Konkurs der Gesellschaft konnte nur durch eine finanzielle Rettung durch die Bundesversammlung verhindert werden. Nach zähem politischem Ringen im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts um die Frage, ob die grossen privaten Eisenbahngesellschaften verstaatlicht werden sollten, wurde in einer Volksabstimmung die Verstaatlichung angenommen und die Nordostbahn 1902 in die 1898 gegründete SBB integriert.
Handelskurve der N.O.B. Aktie (Fr.).
Die Eröffnungsfeier von 1875
Die feierliche Eröffnung der Eisenbahnlinie der Linksufrigen Zürichseebahn fiel auf den Samstag, den 18. September 1875. Dieser Samstag soll ein für das Jahr 1875 aussergewöhnlich sonniger Herbsttag gewesen sein. Die Bahn konnte vier Wochen vor dem im Vertrag abgemachten Termin, dem 15. Oktober 1875, den Betrieb aufnehmen. Laut der Nordostbahn (NOB) hätte die Bahnlinie sogar früher eröffnet werden können, wären u.a. nicht die schwierigen Enteignungen, die ersten Abrutschungen in Horgen und die anschliessende Verlegung der Bahnlinie und der grosse Materialbedarf beim Altendorfer Damm gewesen.
Die geladenen Gäste, die mit einem Sonderzug angereist waren, begannen den Tag mit einem Frühstück, das zwar einfach aber solid gewesen sein soll, in der neuen Hauptstation Enge (Zürich). Um 9.45 Uhr fuhr der Festzug mit einer bekränzten Dampflokomotive in Richtung Glarus los. Zu den eingeladenen Gästen gehörten die Abgeordneten der Kantone Zürich, Schwyz, Glarus und St. Gallen, Vertreter der Gemeinden, durch deren Gebiete die neue Bahnlinie führte, sowie Mitglieder des Gründungskomitees und des beim Bahnbau beschäftigten technischen Personals.
In einem zeitgenössischen Zeitungsartikel der NZZ wird die Schönheit der Landschaft gepriesen und die Eisenbahn dafür gelobt, dass sie im „gut demokratischen Sinn“ solche Genüsse auch für Minderbemittelte zugänglich mache. Tatsächlich veränderte die Eisenbahn die Reisetätigkeit und immer breitere Volksschichten konnten immer längere Reisen unternehmen.
Entlang der Bahnlinie standen viele Leute in Festgewändern und die Bahnstationen waren geschmückt. An den Stationen warteten die Leute, um den Zug mit Böllerschüssen, Hut- und Tücherschwenken sowie freudigen Zurufen zu begrüssen. Zuvorderst standen, nach Geschlechtern getrennt, Schüler und Schülerinnen mit ihren Lehrern. Beim vierminütigen Aufenthalt des Zuges reichten weissgekleidete Frauen den Reisenden einen Ehrenwein.
Dem Mittagessen in Glarus folgte eine Reihe von Festreden, bei denen die Redner auch ihre Wünsche für zukünftige Bahnprojekte vortrugen, wie z.B. die Bahn nach Zug.
Die Rückfahrt fand nach Einbruch der Dunkelheit statt. Diesmal waren die Stationen, wo sich nun noch grössere Menschenmengen eingefunden haben sollen, erleuchtet worden. Der Zug wurde mit unzähligen Fackeln, aus mit Petrol getränktem Torf, und zahlreichen Feuerwerken empfangen und die Kinder hielten farbige Laternen. In Richterswil wurde extra eine hydraulische Fontäne (101 Meter hoch) eröffnet und mit bengalischem Feuer erleuchtet.Die noch auf der Linie beschäftigten Arbeiter hatten von der NOB eine nicht näher beschriebene Gabe erhalten. Am 20. September wurde die Bahn dem regulären Betrieb übergeben.
Die Abrutschungen von 1875
Der Bahnhof (hinten) und der Güterschuppen.
Bereits vor der Eröffnung der Linksufrigen Zürichseebahn gab es in Horgen Abrutschungen. Am Mittag des 9. Februars 1875 stürzte die Ufermauer, welche extra für das Bahnprojekt erstellt worden war, auf einer Länge von 135 Metern ein. Zusammen mit Teilen der Anlage, den zur Arbeit verwendeten Rollwagen und eines Stücks des Gartens beim Institut Stapfer verschwand sie im Zürichsee. Der Anzeiger des Bezirkes Horgen kam zum Schluss, dass unterhöhlte Lehm- und Steinschichten unter den neuen Aufschüttungen eingebrochen seien. Am Abend gab es noch weitere kleinere Abrutschungen.
Laut einer Untersuchung war bei der Aufschüttung, die der Bau der Strecke erforderte und die man auf den Seeschlamm gesetzt hatte, letzterer hinausgepresst worden. Nach diesen Untersuchungen wurden die Arbeiten aber wieder aufgenommen (laut Expertenbericht lag die ausweichende Schlammmasse wohl unter dem Pfahlgrund), auch wenn die Trasse und die Lage der Station teilweise abgeändert wurden.
Nur zwei Tage nachdem der Bahnbetrieb am linken Zürichseeufer aufgenommen worden war, am 22. September 1875, wurden frühmorgens Risse beim Dampfschiffsteg Horgen entdeckt. Die Ufermauer sowie die Gleise hatten sich um bis zu 9 Zentimeter gesenkt. Trotzdem stellte man den Bahnbetrieb erst ein, als sich die Risse im Laufe des Morgens vergrösserten. Bis zehn Uhr zeigten sich keine weiteren Veränderungen und man begann mit der Regulierung der Gleise. Dann öffneten sich die Risse und sofort fing man an, Arbeiter, Wagen und Werkzeuge von der betroffenen Stelle zu entfernen. Und bereits um 10.30 Uhr rutschten erste Uferteile in den Zürichsee. Am Mittag kam es zu zwei weiteren Rutschungen. Insgesamt 6570 Quadratmeter (auf 204 Metern Länge und auf einer Breite von bis zu 48 Metern) mit drei Gleisen versanken im See. Am nächsten Tag (dem 23. September) stürzten Teile bei der Station und beim Güterschuppen in den See. Und noch einen Tag später folgte ein Abbruch zwischen den Gebäuden, wobei das Abtrittsgebäude versank.
Der Bahnhof und der Güterschuppen hatten sich um fast einen Meter gesenkt und mussten abgebrochen werden. Der Anzeiger des Bezirkes Horgen vom 25. September schrieb, dass ein Einsturz des Bahnhofs und des Güterschuppens erwartet werde. Am 28. September berichtete der Anzeiger des Bezirkes Horgen von vielen Schaulustigen an den Abbruchstellen und dass lebhafte Diskussionen bei den anwesenden Personen (wie in den Zeitungen) im Gang seien, was man hätte tun können bzw. sollen, um die Abrutschungen zu verhindern. Laut der Nordostbahn (NOB) seien die Rutschungen auch von anhaltendem Regenwetter begünstigt worden. Ausserdem weist die NOB darauf hin, bzw. die Schuld von sich, dass im Vertrag ausdrücklich eine Station am See gefordert wurde. Dies habe die Linienführung der Bahn stark eingeschränkt, da Teile des Ufers stark bebaut und an anderen Stellen der See tief sei. Zudem standen Häuser (aus Stein) näher am See als die geplante Ufermauer und bei denen hätten sich nie Risse gezeigt. Beim Stationsgebäude gab es vor der Abrutschung einen Hinweis auf das spätere Geschehen: Im Zementboden eines Sommerwartesaals gab es einen Riss, der sich auch nach dem Verputzen immer wieder zeigte. Man führte dies aber auf das Fundament des Gebäudes zurück, das aus Beton bestand, während das eigentliche Stationsgebäude auf Pfählen ruhte. Die NOB veranlasste nach der Abrutschung geologische Gutachten, worin festgehalten wurde, dass Rutschungen und Senkungen nicht voraussehbar gewesen seien und eine gründlichere vorhergehende Untersuchung sogar Bedenken zerstreut und nicht gefördert sowie jeder Ingenieur ohne Bedenken eine Bahnlinie gebaut hätte. Dazu vermerkt die NZZ, dass auch viele abgerutschte Teile alte Aufschüttungen gewesen seien.
Die NZZ bezeichnete die Abrutschung als Katastrophe und schreibt von sehr ernsten Konsequenzen für den Verkehr: Am 1. Oktober wurde die Strecke Zürich-Horgen und Wädenswil-Richterswil wieder in Betrieb genommen. Die Verbindung zwischen Horgen und Wädenswil musste aber bis zum 31. Januar 1876 von Dampfschiffen übernommen werden. Die gesamte Fahrzeit von Zürich nach Glarus betrug so gut drei Stunden (zum Vergleich: Laut Fahrplan vom August 1875 dauerte die Zugfahrt mindestens 2 Stunden und 29 Minuten; mit der schnellsten Verbindung dauert sie heute 57 Minuten). Die Gleise wurden bergwärts verschoben und man richtete einen Bahnhof im Hotel „Meyerhof“ ein. Auf einen neuen Bahnhof (der am selben Standort gebaut wurde, wo der heutige steht) musste Horgen bis 1888 warten, weil ein sicherer Standort gefunden werden musste und die NOB 1877 in finanzielle Schwierigkeiten geraten war.Reste von den Gleisen sind noch heute im See zu sehen.
Literaturverzeichnis
Abriss der Entstehung der Bahnlinien am linken Zürichseeufer
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Die Kapitalbeschaffung der Nordostbahngesellschaft
Ungedruckte Quellen:
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Die Eröffnungsfeier von 1875
Ungedruckte Quellen:
Staatsarchiv des Kantons Zürich, I HHI 1, Geschäftsbericht der Direktion und Bericht des Verwaltungsrates der NOB 1874-76 (23).
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Z.: Die Eröffnung der linksufrigen Zürichseebahn, in: Anzeiger des Bezirkes Horgen, Nr. 109, 18.9.1875.
Z.: Die Eröffnung der linksufrigen Zürichseebahn, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 476 (Zweites Blatt), 20.9.1875.
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Neuhaus, Werner: Linksufrige Zürichsee-Bahn. Aus den Annalen der Linksufrigen, Stäfa 1988.
Ziegler, Peter: Hundert Jahre Eisenbahnlinie Zürich-Richterswil, in: Linkes Ufer, Nr. 205, 5.9.1975.
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Die Abrutschungen von 1875
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Staatsarchiv des Kantons Zürich, I HHI 1, Geschäftsbericht der Direktion und Bericht des Verwaltungsrates der NOB 1874-76 (23).
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Ziegler, Peter: Hundert Jahre Eisenbahnlinie Zürich-Richterswil, in: Linkes Ufer, Nr. 205, 5.9.1975.
Z.: Aus Richterswils Verkehrsgeschichte, in: Grenz-Post für den Zürichsee, Nr. 127, 4.11.1949.