1. MÄRZ 1927: ERÖFFNUNG DER NEUEN STRECKE ZÜRICH HB–WOLLISHOFEN

Quelle: Thalwiler Anzeiger, September 1975 aus Sammlung Ortmuseum Richterswil, zusätzliche Bilder LZB

Die zwischen dem Zürcher Hauptbahnhof und Wollishofen ebenerdig durch das Stadtgebiet geführte Bahnstrecke behinderte zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Strassenverkehr immer stärker. Die häufige Schliessung der Bahnschranken an allen Übergängen führte besonders morgens, mittags und abends zu unliebsamen Stockungen. Am schlimmsten waren die Verhältnisse an der Seestrasse, der Badener- und Birmensdorferstrasse, wo auch der Tramverkehr behindert war. Die Verkehrszählung vom Dezember 1913 ergab, dass bei sämtlichen Übergängen jährlich 3 200 000 Fussgänger, 390 000 Fuhrwerke, 99 000 Radfahrer und 52 000 Autos je zwei Minuten lang aufgehalten wurden.
6 120 000 Benützer der Strassenbahn mussten sogar 3 Minuten warten. Im gesamten entsprach dies einem jährlichen Zeitverlust von 18 000 Tagen!


Der Bahnübergang an der Badenerstrasse in Zürich, wie er sich im Jahr 1910 präsentierte. (Baugeschichtliches Archiv, Zürich)

Links: Alter Bahnhof Zürich-Wiedikon, 1923. (Baugesuch Archiv Zürich). Rechts: Neuer Reiterbahnhof, 1935. (SBB Historic)

Schon im Jahre 1895 hatte die Nordostbahngesellschaft den Behörden das Projekt zur Hochlegung der Linie im Stadtgebiet vorgelegt; aller Strassen sollten unterführt werden. Nach der Verstaatlichung der NOB verfolgten die SBB das Hochbahn-Projekt weiter. Die Stadt Zürich verlangte hingegen die Erstellung einer Tiefbahn. Das Bett der Sihl sollte gehoben und unterfahren werden; die Station Enge sollte nach Westen verlegt werden. Die Verhandlungen dauerten lange und gestalteten sich schwierig. Erst nachdem der Stadtrat drei Zusicherungen gemacht hatte konnte der Vertrag zwischen SBB und Stadt Zürich am 22. Dezember 1913 abgeschlossen werden. Zürich verpflichtete sich erstens, die Hälfte der Mehrkosten zu tragen, welche den SBB aus dem Tiefbahnprojekt erwuchsen. Zweitens verzichtete Zürich auf den Güterverkehr in der Station Enge, und drittens war es bereit, den Bahnhof Enge am heutigen Standort an der Seestrasse zu erstellen, statt, wie ursprünglich vorgesehen, an der weiter westlich gelegenen Bederstrasse.

Alter Bahnhof Enge, vor 1923. (SBB Historic)

In den Kriegsjahren 1914 – 1917 wurde das für die neue Streckenführung benötigte Land erworben. 53 Häuser mit 159 Wohnungen mussten dem Tiefbahnbau weichen. Im Frühjahr 1918 konnte mit dem Bau des Sihlüberfalls und mit der Sihlverlegung begonnen werden. Die Verlegung der Sihl auf 900 Metern Länge, die Hebung des Flussbettes um 4.6 Meter, das Überfallbauwerk mit eingebautem Bahntunnel waren neuartige Bauaufgaben. Gewaltige Erdmassen mussten ausgebaggert werden, und die tiefen Baugruben brauchten solide Verstrebungen.


Bahnstrecke zwischen Enge und Wiedikon, 1914. Man sieht den Ulmbergtunnel (heute Strassentunnel) sowie die Überführung der Sihltal- und Üetlibergstrecke. (A. Ryffel - Swiss Federal Archives)

Im Frühjahr 1920 konnte mit dem Ausbruch der Tunnelbauten zwischen Wollishofen und Wiedikon begonnen werden. Wasserhaltige Schlammsandschichten, Strassen, Leitungen und nahe gelegene Gebäude erforderten grösste Vorsicht beim Durchbrechen der Moränen.

Links: Baugrube nach Aushub beim Bahnhof Zürich-Wiedikon 1926. (Baugesuch Archiv Zürich) Rechts: Neues Geleise der Tiefbahnlinie mit altem Aufnahmegebäude, 1927. (Baugesuch Archiv Zürich)

Zwischen Mai 1925 und Oktober 1926 entstanden in der Enge das heutige Aufnahmegebäude aus Verzasca-Granit, mit halbkreisförmiger Fassade, Arkadenreihe und segmentförmigem Vorplatz. Der neue Bahnhof war das Werk der Architekten Pfister, welche im Projektwettbewerb von 1923 den ersten Preis gewonnen hatten.

Links: 6 Alter Bahnhof Zürich-Enge. (alter_bahnhof_enge_01_800 - RW Blog) Rechts: 7 Neuer Bahnhof am heutigen Standort (um 1927). (Zürich - Bahnhof Enge - RW Blog)

Bis die ersten Züge die neue, als Tiefbahnlinie gestaltete Strecke Zürich HB–Wiedikon–Enge–Wollishofen befahren konnten, verstrichen aber noch einige Zeit. Man baute nämlich die Anlage gleich doppelspurig und für elektrischen Betrieb. Am 1. März 1927 konnte der neue Abschnitt für den Zugsverkehr freigegeben werden.

1898 kam Zürich-Wollishofen zu einem neuen Stationsgebäude. Die Nordostbahn versetzte damals den 1864 nach Plänen von J.F. Wanner gebauten Bahnhof Zug Stein um Stein nach Wollishofen. Der Bau der neuen Linie in Zug hatte nämlich dort eine neue Station in Insellage bedingt. (Werner Stutz, 1983 Orell Füssli)


Blick auf den versetzen Bahnhof Wollishofen, Seebecken und Stadt Zürich, 1898. (SBB Historic)

Abkürzungen

BKW Baukultur Wädenswil
DOZ Dokumentationsstelle Oberer Zürichsee, Wädenswil
LZB Verein «150 Jahre linksufrige Zürichseebahn», Wädenswil

Bildnachweis

Header Bild: Zürich-Enge, Bahnhof von 1875, Werner Stutz, 1983 Orell Füssli

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